Im Kreis Nienburg an der Weser erlebten Pferdebesitzer vor kurzem den wohl schlimmsten Alptraum, den es für Pferdefreunde geben kann: Auf ihrer Weide lagen zwei ihrer Hannoveraner-Jährlinge, die von einem oder mehreren Wölfen totgebissen wurden. Der Rest der Herde war völlig verstört aus der Umzäunung ausgebrochen, und konnte nur mühsam wieder eingefangen werden. Wie geht es jetzt weiter?
Seit sich in der Lausitz vor etwa 20 Jahren die ersten Wolfsrudel angesiedelt haben, erobert sich „Meister Isegimm“ nach und nach immer mehr Reviere überall in ganz Deutschland. Aber was Naturschützer aufjubeln lässt, treibt Pferdehaltern, aber auch Haltern anderer Weidetiere bisweilen den Angstschweiß auf die Stirn. Nämlich immer dann, wenn die örtlichen Forst- oder Naturschutzbehörden die Sichtung eines Wolfs in der Nähe ihrer Tiere vermelden.
Anpassungsfähiges Raubtier
Anders als im Märchen, wo der Wolf im tiefen Wald versteckt sein Unwesen treibt, haben Wildbiologen herausgefunden, dass Wölfe gar keine ausgesprochenen Waldbewohner sind, sondern sich in ganz unterschiedlichen Lebensräumen wohlfühlen. Bezeichnend dafür ist die Tatsache, dass die ersten Wölfe, die sich im Jahr 2000 über die polnische Grenze nach Deutschland einschlichen, gar keine tiefen, schützenden Wälder, sondern offene Truppenübungsplätze in der Heide mit allenfalls sehr lichtem Baumbestand bevorzugten. Auch bei ihrer Ausbreitung nach Westen sind es immer aufgegebene oder noch in Nutzung befindliche Militärgelände, von denen aus sich Jungwölfe ihre Reviere erobern. Letztendlich spielt die Art der Umgebung für die grauen Räuber also gar keine so große Rolle. Hauptsache, sie finden dort ausreichend Beutetiere.
Neben der Tatsache, dass sich der Wolf nicht an den im Märchen vielzitierten tiefen Wald hält, ist es für Pferdehalter besonders beunruhigend, dass sich mit der Ausbreitung der Wölfe in die unterschiedlichsten Landschaften auch ihr Beuteschema ändert. Auf ihrem Speiseplan stehen neuerdings zunehmend auch große Weidetiere, die nicht mehr nur von einzelnen Wölfen, sondern gleich von ganzen Rudeln gejagt werden. Was der schreckliche Wolfsriss zweier Hannoveraner-Jährlinge Anfang Juni anhand gefundenen Wolfs-Genmaterials sehr eindrücklich belegt.
Politischer Zankapfel mit Folgen
Aber was tun? Den besagten Wolf einfach zum Abschuss freigeben, ist keine ganz einfache Sache. Denn zum einen verweisen Naturschützer mit Recht darauf, dass der Wolf für ein intaktes Ökosystem in unseren Wäldern unverzichtbar ist. Das ist auch der Grund, warum Wölfe europaweit als streng geschützte Art gelten, nicht dem Jagdrecht unterliegen und somit ganzjährig vor der Bejagung geschützt sind. Andererseits sind Wölfe jedoch sehr intelligente Tiere, die sehr schnell lernen, Hindernisse wie Elektrozäune zu überwinden. Und es stellt sich weiterhin die Frage, welche Schutzmaßnahmen Pferdehaltern zugemutet werden können, die mit vertretbarem Aufwand einen sicheren Schutz vor Wölfen bieten können. Übermäßig hohe Zäune oder gar das Halten von Herdenschutzhunden, die zudem im Umgang überhaupt nichts für Anfänger der Hundehaltung sind, sondern sehr viel Erfahrung und Spezialwissen erfordern, kommen dabei nicht wirklich in Frage.
Im Falle der nachweislich von einem Wolf gerissenen Jährlinge wurde der graue Jäger zum verwaltungsrechtlichen Zankapfel zwischen Wolfschützern und dem Niedersächsischen Umweltministerium, das die sofortige „Entnahme“ der betreffenden, durch Genproben einwandfrei nachgewiesenen Wölfe einforderte, und sich damit eindeutig auf die Seite nicht nur der unmittelbar betroffenen Pferdehalter stellte.
Auch die „Pferdeland Niedersachsen“ GmbH als Interessensvertreter aller Institutionen und Unternehmen rund um das Thema Pferd in Niedersachsen hat die Wolfsrisse im Kreis Nienburg nicht kalt gelassen. In einem offenen Brief an den zuständigen Minister Olaf Lies forderten deren Mitglieder, dem jüngsten Vorfall in Nienburg endlich Konsequenzen im Sinne der Pferdehalter folgen zu lassen. Denn auf politischer Ebene würde das Thema „Wölfe und Pferde“ immer noch viel zu zögerlich angegangen.
Lösung nach skandinavischem Vorbild
Um das Damoklesschwert der Bedrohung friedlich vor sich hin grasender Pferde durch Wolfsrisse endlich loszuwerden, könnte die Bejagung des Wolfs nach dem Prinzip der sogenannten „skandinavischen Schutzjagd“ eine Lösung sein. Die Grundlage für ein konfliktfreies Miteinander von Wölfen und Weidetieren ist dabei eine wildökologische Raumplanung. Dabei wird die von Wölfen besiedelte Landschaft in drei Kategorien unterteilt:
Kategorie I: In Wolfsschutz-Arealen, etwa großen, unbewohnten Waldgebieten oder Truppenübungsplätzen, soll Meister Isegrimm ungestört durch sein Revier stromern können.
Kategorie II: In sogenannten Wolfsmanagement-Arealen soll die Anwesenheit von Wölfen zwar grundsätzlich toleriert werden. Seine Bestände sollen dort aber eine festgelegte Obergrenze nicht überschreiten. Überzählige Tiere können in solchen Gebieten dann problemlos „entnommen“ werden, auch ohne dass es vorher zu Wolfsübergriffen gekommen ist.
Kategorie III: in Gebieten mit Weidetierhaltung, aber auch in Dörfern und Städten, die in diesem Management-Konzept nach skandinavischem Vorbild auch als „Wolfsausschluss-Areale“ bezeichnet werden, gilt eine Null-Toleranzgrenze gegenüber den grauen Jägern.
So interessant und konsequent dieses Konzept klingt, eines steht fest: Viel Zeit für dessen Umsetzung bleibt den verantwortlichen Behörden und Politikern nicht mehr. Denn der Wolf erobert sich immer mehr Landschaften, in denen er bis vor etwa 200 Jahren ausgerottet wurde, zurück, und seine Bestände wachsen langsam, aber stetig weiter an. Doch Vorfälle wie im Juni in Nienburg oder wenige Monate zuvor im Landkreis Uelzen, wo zwei Wölfe ebenfalls einen Weidezaun überwunden, die weidenden Pferde angegriffen und ein Tier rissen, dürfen nicht wieder vorkommen. Nie mehr!