Ein hölzernes Kutschrad ist nicht nur ein Blickfang, sondern ein kleines technisches Wunder der Holzverarbeitung. Damit bei seinem Gebrauch alles rund läuft, ist altes Know-how gefragt.
Als Handwerker waren die ersten Stellmacher, oder auch Wagner genannt, militärische Geheimnisträger. Denn die ersten Speichenräder der Sumerer, Hethiter und Babylonier wurden für militärische Streitwagen genutzt, die von schnellen Pferden in rasantem Galopp durchs Schlachtfeld gezogen wurden. Die Räder mussten also, obwohl diese Kutschen leicht und wendig waren, im unebenen Gelände trotzdem sehr robust sein. Und weil ein hochwertiges Rad für den Erfolg einer Schlacht so extrem wichtig war, wurde das Wissen um seine Herstellung geheim gehalten und nur von Stellmacher zu Stellmacher weitergegeben.
Später brachten die Römer auf ihren Eroberungszügen nach Norden auch ihre Wagen und damit die Technik des Speichenrades nach Mitteleuropa. Die Kunst, ein Wagenrad zu fertigen, war somit schon lange vor der Zeitenwende auch hierzulande handwerkliches Know-how, wie beispielsweise archäologische Funde in Südwestdeutschland belegen. Seither hat sich an der Art und Weise der Kutschradherstellung und an der Form der verwendeten Werkzeuge nichts Wesentliches mehr geändert. Erst die flächendeckende Elektrifizierung der Stellmacher-Werkstätten nach dem Ersten Weltkrieg machte maschinengestützte Produktionstechniken möglich, die viele handwerkliche Abläufe beim Bau eines Wagenrades veränderten.
Aufwändige Fertigung
Damit ein Wagenrad lange benutzt werden kann, sind bei der Fertigung viele Handgriffe notwendig und auch viel Spezialwissen erforderlich. So setzt sich die Felge je nach gewünschtem Durchmesser des Rades aus mehreren Teilen zusammen. Am liebsten verwendet der Stellmacher dabei Holz, dass schon von Natur aus in einer gewissen Krümmung gewachsen ist, weil das die Stabilität des Wagenrades unterstützt. Aus welcher Holzart dabei die Felge, aber auch die Speichen und die Radnabe gefertigt sind, da hat jeder Stellmacher so seine eigenen Erfahrungen und Vorlieben. Aufgrund der unterschiedlichen mechanischen Beanspruchung der verschiedenen Radbestandteile kommen für Nabe, Speichen und Felge jeweils unterschiedliche Holzsorten in Frage.
Übrigens ist es kein Zufall oder eine Mode vergangener Zeiten, dass bei einer Kutsche die Vorderräder viel kleiner als die Hinterräder sind. Dahinter steckt vielmehr knallharte Physik. Der meist nicht sonderlich gute Zustand der damaligen Straßen und die vielen Schlaglöcher erforderten ein Rad mit einem möglichst großen Durchmesser. Denn große Räder rollen auf unebenem Untergrund ruhiger und passieren auch Schlaglöcher mit einem weniger heftigen Ruck als kleine Räder. Damit die Herrschaft weich und bequem saß, wurden große Räder also an der Hinterachse der Kutsche montiert. Allerdings lassen sich große Räder nur schwer lenken, weswegen die Vorderachse einer Kutsche kleinere Räder hat, die sich beim Richtungswechsel der Pferde im Geschirr leichter in die gewünschte Richtung drehen und ziehen lassen.
Handwerkliche Zusammenarbeit
Ist der Stellmacher mit seiner Arbeit fertig, sind es seine Räder noch lange nicht. Denn damit ein hölzernes Rad möglichst lange gebrauchsfähig bleibt, braucht es eine Eisenbereifung, die die Felge, und sei sie noch so robust, vor Abrieb schützt. Zusätzlich gibt der Eisenreif dem Wagenrad zusätzlichen Halt. Dass die Räder historischer Kutschen, sofern sie noch in Nutzung sind, mittlerweile auch noch eine Gummiummantelung verpasst bekommen, liegt daran, dass ein eisenbewehrtes Kutschrad auf Straßenasphalt sehr laut rollt. Das war in der Vergangenheit auf dem Kopfsteinpflaster der Straßen natürlich auch der Fall. Es scheint die damaligen Zeitgenossen aber nicht sonderlich gestört zu haben.
Das Bereifen eines hölzernen Kutschrades mit einem schmiedeeisernem Beschlag ist eine Wissenschaft für sich. Denn der Eisenreifen ist ja noch glühend heiß, wenn er auf die Felge aufgezogen wird. Wozu je nach Durchmesser des Rades übrigens viele geschickte Hände erforderlich sind und mehrere erfahrene Schmiede gleichzeitig anpacken müssen. Ist der Reifen auf der Felge, muss er unverzüglich abgekühlt werden. Und genau das ist der spannendste Moment der Radfertigung, weil hierbei sehr viel Erfahrung im Umgang mit Holz und Metall gebraucht wird. Denn kühlt das Eisen beim Abspritzen mit kaltem Wasser zu schnell ab, zieht sich das Material zu eng zusammen, und sprengt dadurch die Felge in Teile. Wird zu zögerlich abgekühlt, fängt die hölzerne Felge Feuer.
Beständige Pflege
Die Arbeit des Stellmachers kann noch so gut sein – wird ein Kutschenrad nicht beständig gepflegt, oder steht die Kutsche zu lange im trockenen Schuppen, trocknet das Holz aus, und der Eisenreifen lockert sich. Das Rad ist dann nicht mehr zu gebrauchen. Zur Zeit der Pferdefuhrwerke steuerten die Fuhrleute nach getaner Arbeit mit ihren Gespannen deshalb immer den nächsten Fluss an, um Pferde und Wagen für einen Moment vom Wasser umspülen zu lassen. Das schützte die Räder vor dem Austrocknen. Gleichzeitig kühlte das Wasser die Bänder und Sehnen der Pferdebeine. Was für Arbeitspferde der damaligen Zeit nach einem langen, harten Tag vor dem Wagen sicherlich eine Wohltat gewesen sein dürfte.