„Wie bitte?“

Geschrieben von Karsten Kulms | 9. März 2021 08:28:15 Z

Jede Sportart hat ihre eigene Sprache. Und die ist für Außenstehende nicht immer leicht zu verstehen. Ganz schwierig wird das aber in der Sprache der Reiterei.

Bekanntermaßen gehören Reiter und andere Pferdeleute nicht unbedingt immer zu denjenigen Zeitgenossen, die süchtig nach Wandel und Fortschritt sind. Oder um es auf den Punkt zu bringen: das Reiten ist eine Sportart, die sehr streng an konventionellen Regeln festhält. Was sich auch an ihrer Sprache zeigt.

 

Alte Wurzeln

Der Grund dafür, dass die meisten Anweisungen und Bahnkommandos sehr altmodisch klingen ist, dass sie aus einer Zeit stammen, in der die Ausbildung von Reiter und Pferd noch Sache des Militärs war. Vereinheitlicht wurden sie erstmals in der „Heeresdienstvorschrift 12 (H.Dv.12)“ von 1912, die die Grundlage der späteren „Richtlinien für Reiten und Fahren“ der FN bildeten. Seither hat sich im Reitsport im Umgang mit dem Pferd natürlich viel getan. Was bleibt, ist der immer noch sehr kasernenhofartig anmutende Ton der Kommandos.

 

Wissen, was gemeint ist

Kommt vom Reitlehrer beispielsweise das Kommando „Mach‘ Dein Pferd rund!“, dann meint das natürlich nicht, das Pferd so „rund“ zu machen wie jemand, der im Job etwas verbockt hat und deswegen von seinem Chef rundgemacht wird. 

 

Zum Kommando „Mach Dein Pferd rund“ steht in der H.Dv.12: "Zum Beizäumen wiederholt der Reiter die beim An-die-Zügel-stellen beschriebenen Hilfen, bis das Pferd die für die Zügeleinwirkung erforderliche und seinem Gebäude angemessene Hals- und Genickbiegung hergibt". Eine Erklärung, die in ihrem durchaus etwas altmodisch klingenden „Sprech“ aber nicht unbedingt zum besseren Verständnis des Kommandos beiträgt. Gemeint ist damit, dass das Pferd, korrekt geritten, den Hals rund macht, um mit der Hinterhand an den Zügel heranzutreten. Voraussetzung dafür ist, dass es im Genick als dem höchsten Punkt seiner Aufrichtung nachgeben kann. Und dafür braucht es eine "sichere, weiche Verbindung zwischen Hand und Pferdemaul", wie es die H.Dv.12. schon deutlicher beschreibt.

 

Beim Heranreiten des Pferdes an den Zügel ist ganz wichtig, dass die Nase des Pferdes immer vor der Senkrechten zu sein hat. Denn nimmt das Pferd die Nase hinter die Senkrechte, ist es ihm anatomisch nicht mehr möglich, weich im Rücken zu schwingen und die Gewichtslast des Reiters mit der Hinterhand zu tragen. Ein Aspekt, der leider heutzutage viel zu wenig beachtet wird. Ganz unsinnig ist die vor einiger Zeit aufgekommene „Rollkur“, vornehm mit „Hyperflexion der Halswirbelsäule“ umschrieben. Das übermäßige Biegen oder „Einrollen“ des Halses bringt nichts, und tut dem Pferd einfach nur unglaublich weh! Das Problem scheint schon zu Zeiten der H.Dv.12 bestanden zu haben. Nicht umsonst lesen wir darin, wie Pferde, die "zu kurz im Halse werden" oder "den Hals kraus machen", korrigiert werden müssen: "Diesen Pferden muss die Nase immer wieder vor die Senkrechte getrieben werden, sonst besteht die Gefahr, dass sich ein falscher Knick im Halse bildet, der, einmal eingewurzelt, schwer zu beseitigen ist (…)."

 

Sporen muss man sich verdienen

Eine sehr merkwürdig anmutende Redewendung aus Reiterkreisen hat sogar ihren Weg in die Alltagssprache gefunden. Wenn sich jemand „die Sporen verdienen muss“, heißt das natürlich nicht, lang genug sparen zu müssen, um sich im Reitsportgeschäft die teuersten Sporen kaufen zu können.

 

Zu diesem Satz bemerkt die H.Dv.12 lapidar: „Genügt eine Schenkelhilfe nicht, wird sie durch den Sporen verstärkt." Was aber nicht, wie es heute leider oft zu beobachten ist, meint, dass der Sporn bei hochgezogenen Absätzen und einem „klopfenden“ Schenkel ständig in den Pferdeleib gepiekst wird. In der Sprache der H.Dv.12 ist die Sporenhilfe vielmehr ein kurzes, "geschicktes Fühlenlassen" der Schenkelhilfe im richtigen Moment. Also wenn das Pferd, zum Beispiel in den versammelten Lektionen, im richtigen Moment sensibel gemacht werden soll. Sporen sollte also nur jemand benutzen, der sein Pferd auch ohne Sporeneinsatz sicher und gut ausbalanciert an den Gewichts- und Schenkelhilfen stehen hat.

 

Treib‘ ihn voran!

Und überhaupt die treibenden Hilfen: ein Reiter, der bei beständigem Schenkelklopfen mit hochrotem Kopf Mühe hat, sein unmotiviertes Pferd in die Gänge zu bekommen, sollte sich diesen Satz der H.Dv.12 vor Augen halten: "Der Schenkel muss aber umso tätiger sein und der Schenkeldruck umso stärker werden, je mehr es gilt, die Hinterfüße anzuregen und zu beherrschen." Damit ist gemeint, dass Schenkelhilfen wechselweise immer auf das jeweilige Hinterbein abzielen, das im Moment aktiviert werden soll. Wer es nicht gelernt hat, dafür den richtigen Moment abzupassen und zu fühlen, wird sich vergeblich abmühen. Die Schenkelhilfe ist lediglich als ein unterstützender Impuls für den Augenblick gedacht, in dem das Pferd mit dem Hinterbein nach vorne fußt. Dazu die H.Dv.12: "bei einem in guter Haltung schwungvoll am Zügel gehenden Pferd genügt bei richtigem Sitz das weiche Fühlenlassen der Unterschenkel, um es in Form, Gangart und Tempo zu erhalten".

 

Manchmal ist es eben doch ganz einfach, die Anweisungen eines mehr als 100 Jahre alten Sprachstils zu verstehen…